„Glas als Gestaltungsmittel dort diskutieren, wo es herkommt…“
110 Teilnehmer beim 1. „Symposium für Glasdesign und Glasarchitektur“ in Zwiesel
Dass Glas sehr viel mehr kann als dekorativ den Tisch zu decken, ist beileibe keine neue Erkenntnis. Welche Rolle der vielseitige Werkstoff heute aber für Produktgestaltung, Baukunst, Handwerk und Wissenschaft spielt, das wurde kürzlich im Rahmen des „Symposiums für Glasdesign und Glasarchitektur“ in der Glasstadt Zwiesel erörtert.
Regionalmanager Stephan Lang, Koordinator des „Netzwerks Glas“ bei der ARBERLAND REGio GmbH, Hans Wudy, Leiter der renommierten Glasfachschule Zwiesel, und „bayern design“-Geschäftsführerin Dr. Silke Claus konnten ihrer Begeisterung kaum Ausdruck verleihen: 110 Teilnehmer hatten sich zum ersten „Symposium für Glasdesign und Glasarchitektur“ im Prof.-Mauder-Saal der Glasfachschule Zwiesel eingefunden. Künftig sollen hier im Zwei-Jahres-Rhythmus neueste Erkenntnisse rund um den Werkstoff Glas aus den Bereichen Design, Architektur, Interieur und Wirtschaftsglas vorgestellt und erörtert werden.
Neben einem breiten Fachpublikum und zahlreichen Ehrengästen bot die Veranstaltung sieben namhaften Referenten ein Podium. Glasfachschul- und Tagungsleiter Hans Wudy kündigte sie als „absolute Hochkaräter“ an und sah ihre Mitwirkung als Beweis dafür, „dass Glas nicht nur eine Vergangenheit hat, sondern auch eine Zukunft“. Dr. Silke Claus, Geschäftsführerin von bayern design, dem Kompetenzzentrum des Freistaats Bayern für Designfragen, konnte hier nur beipflichten: „Kreativität und Gestaltung sind eine der wichtigsten Wirtschaftsressourcen des 21. Jahrhunderts – gerade im Bereich Glas mit seinen unendlichen ästhetisch-funktionellen Anwendungsmöglichkeiten.“ „Es spricht für die Veranstalter, ihre Vorbereitung, aber auch für den Veranstaltungsort, wenn so ein neues Veranstaltungsformat auf derartige Resonanz stößt“, resümierte Regens Landrätin Rita Röhrl. Der Landkreis Regen sei nach wie vor ein herausragendes Drehkreuz für Fragen der Glasgestaltung und Glasproduktion. Regierungspräsident Rainer Haselbeck bestärkte dies und bezeichnete die Veranstaltung als „starkes und wichtiges Zeichen aus der Glasregion Bayerischer Wald für ganz Bayern.“ Den kalten Algorithmen der Digitalisierung stellte er die menschliche Kreativität als Zukunftschance entgegen und führte fort: „Nur durch Design und Innovation wird man sich auch gegen Billigkonkurrenten behaupten können!“
Mit Irmgard Braun-Ditzen, Industriedesignerin bei der Zwiesel Kristallglas AG, eröffnete eine ehemalige Absolventin der Glasfachschule das Vortragswochenende. Seit 2005 leitet sie die Abteilung Produktentwicklung des Zwieseler Weltmarktführers für Premiumtrinkgläser. Essenziell für den Designprozess sei das Ideenspiel, „welches über die Hand in Skizzen fließt und schließlich mehrere Runden durch die Handfertigung dreht, bevor ein neues Trinkglas in Serie gehen kann.“ Einige exklusive Kollektionen der Marke ZWIESEL 1872 stammen aus ihrer Feder. Besonderen Anklang bei den Symposiumsteilnehmern fand das neue Produkt ICONICS, ein Set aus Dekanter und Weinbecher, das – bauchig in Buchenholz eingelassen – ein unbestreitbares Kind der Bayerwald-Glashüttentradition ist.
Glas im Bereich Interieur nutzt Sebastian Herkner als kreatives Betätigungsfeld. In seinem Offenbacher Studio entwirft der studierte Produktgestalter Möbel und Leuchten sowie Porzellan- und Glasobjekte für internationale Firmen. Des Weiteren kuratiert bzw. inszeniert er regelmäßig Design-Ausstellungen. Herkners bekanntester Entwurf ist der „Bell Table“ für ClassiCon, ein Tisch mit Messingplatte, der auf einem hauchzarten farbigen Glasfuß steht. Diesen stellt die Glasmanufaktur von Poschinger in Frauenau her. Besonders wichtig ist dem Hessen das Handwerk um sein Produkt: „Am liebsten bin ich bei der jeweiligen Fertigung vor Ort und nehme auch die Herstellung in den kreativen Prozess auf.“
Die Arbeit eines weltbekannten Künstlers stand im Zentrum von Frederik Richters Vortrag. Der Derix-Prokurist referierte zu Paul Housbergs Glaswänden, die ihren charakteristischen Farbfluss durch Fliesentechniken erreichen. Als Kunstglaser gilt Richters Expertise vor allem der Konstruktion und Montage im klerikalen Bereich: „Aufträge mit zeitgenössischen Künstlern kommen tendenziell eher aus dem Ausland“, berichtete er. Als Beispiele stellte Richter einen Entwurf für den Hongkonger Flughafen sowie eine vierwandige Kunstglasinstallation im Hauptquartier der US-Regierungsbehörde CalSTRS vor. Das Werk besteht aus mundgeblasenem Glas, das malerisch veredelt und auf Spiegel auflaminiert wurde. Es umfasst 10 x 160 Meter.
Christian Brückner, der nach seinem Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und einigen „Wanderjahren“, zusammen mit seinem Bruder das Architekturbüro „Brückner und Brückner“ eröffnete, zeigte eine Reihe eindrucksvoller Gebäude aus dem eigenen Portfolio. Diese spielen – als bewusste Hommage auf die Herkunft aus dem oberpfälzischen Tirschenreuth – mit heimischen Baumaterialien wie Glas, Granit und Holz. Das Credo der Architektenbrüder lautet: „Lebensräume schaffen“. Diese entstehen in intensiver Auseinandersetzung mit Land und Leuten. Alte Bausubstanzen dürfen ihr Wesen behalten und dennoch Licht, Wärme und modernes Flair versprühen. „Das Schöne“, so meinte er zum Symposium selbst „ist, dass eine so hochwertige Veranstaltung zur Bedeutung von Glas als Gestaltungsmittel und Bauelement nicht nur in Tokio, München, Berlin oder Frankfurt stattfindet, sondern auch hier im Bayerischen Wald, wo das Glas hergestellt und verarbeitet wird.“
Die Gestaltung intelligenter Glasfassaden war das Thema Josef Lerchenbergers von der Lindner Fassaden GmbH Arnstorf. Lerchenberger ist seit 30 Jahren konstruktionstechnisch im Metallbau tätig. Anhand einiger Beispiele, unter anderem des „Konstanzer Energiewürfels“, führte er vor, dass gläserne Gebäudefassaden in unseren Großstädten weit mehr können, als „nur nach Hochglanz auszusehen“: Schall- und UV-Schutz, Klimaregelung, Photovoltaikelemente, Wärmerückgewinnung, Explosions- und Erdbebensicherheit sind nur ein paar Eigenschaften, die Lindner-Kunden heute neben einer exklusiven Optik von einem Gebäude erwarten. „Das ist auch gut so“, meint Lerchenberger: „Im Bereich Energetik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan. Innovationen ermöglichen hier neue Gestaltungsspielräume. Als Beispiel nannte er durchsichtige Photovoltaikmodule, die als Sonnenschutz eingesetzt werden.“
Eine Zeitreise um den „ganz besonderen Werkstoff“ Glas wagte Prof. Dr. rer. nat. Reinhard Conradt. Bis 2016 leitete er den Lehrstuhl für Glas an der RWTH Aachen. Als Präsident der „Deutschen Glastechnischen Gesellschaft“ und Fellow der „Society of Glass Technology“ ist sein Anliegen der Transfer von Grundlagen in die industrielle Praxis. Conradt macht Glas für nicht weniger als fünf Revolutionen in der Menschheitsgeschichte verantwortlich: Die Erfindung der Glühbirne führte uns ins industrielle Zeitalter, optische Linsen offenbarten den Mikrokosmos der Viren und Bakterien, gegen den man sich medizinisch wappnen konnte und den Makrokosmos des Weltalls. Es brachte uns Unterhaltungselektronik und ließ die Weltbürger miteinander sprechen. „Wenn man bedenkt, wo die Reise via Glasfaser in der Energieerzeugung, Mobilität und Kommunikation noch hingehen wird, sollte niemand mehr die Frage stellen, ob Glas eine Zukunft hat!“
Boris Kochan von KOCHAN & PARTNER schloss die Vortragsreihe mit seiner Präsentation zum Thema „Marke und Persönlichkeit, Form und Funktion“. Als Unternehmer, Journalist und Designer verfügt er über eine umfassende Perspektive auf das Themenfeld Branding und stellte Ansätze vor, wie Produkte mit gewünschten „Charaktereigenschaften“ in Verbindung gebracht und gestalterisch in der Werbung umgesetzt werden können. Sein Buch „Glas:Typen“, welches den medialen Affinitäten von Trinkglas und Typografie nachspürt, schlug dann die Brücke zum angekündigten Wein-Tasting. Hier führte Connaisseur Kochan die Symposiumsteilnehmer durch eine Reihe von edlen Tropfen des Staatlichen Hofkellers Würzburg, die aus verschiedenen Weinglasformen der Zwiesel Kristallglas AG ganz unterschiedliche Aromen und Tiefen offenbarten. „Jede Weinglasform prägt das Geschmacksempfinden eines Weins auf unterschiedliche Weise“, erklärte Kochan.
Am Samstag, dem zweiten und letzten Veranstaltungstag, standen parallele Besichtigungen der Glasfachschule Zwiesel und der Zwiesel Kristallglas AG auf dem Programm. Beim Weltmarktführer für Gastronomiegläser führten Sebastian Kohler und Josef Körbel aus den Bereichen Qualitätsmanagement und Glasschmelze die Gäste durch den Industriebetrieb. Die möglichst bruchsichere Glasherstellung erfordert ein spezielles, streng gehütetes Mischverhältnis des Glasgemenges. Dieses wurde zwar nicht preisgegeben, die Besucher hatten allerdings Gelegenheit, die maschinelle Produktion vom heißen, honigflüssigen Tropfen bis zum fertigen Trinkglas mitzuverfolgen. Im Showroom konnten sich die Symposiumsbesucher einen Überblick über die Produkt- und Markenvielfalt der Zwiesel Kristallglas AG verschaffen und einen Blick auf aktuelle design-gekrönte Kollektionen werfen.
An der Glasfachschule Zwiesel, dem renommierten Berufsbildungszentrum für Glas und Optik stand die manuelle Glasfertigung im Mittelpunkt. Auf ihrem Weg durch die Glasfachschule bestaunten die Gäste, geführt von Schulleiter Hans Wudy, diverse Exponate, die vor Ort gefertigt wurden. Nach drei Jahren Ausbildung sind viele Jahre Praxiserfahrung notwendig, um zu einem meisterlichen Glasmacher zu werden, meinte Wudy: „Nachdem die relevanten handwerklichen Fertigungstechniken erarbeitet sind, geht es bereits in der Ausbildung darum, an der eigenen gestalterischen Handschrift zu feilen. Das ermutigen wir auch per Lehrplan!“ Angekommen im Herzstück, der schuleigenen Glashütte, demonstrierten die Glasmacher die Herstellung einer Schale in Filigrantechnik. Mit wenigen archaischen Werkzeugen, viel Gespür und Werkstofferfahrung gestalteten die Glasmacher ihre Formen. Mit der Botschaft „wir können das Glas nicht neu erfinden, wohl aber gestalterisch neue Wege gehen“, schloss Wudy die Führung und das zweitägige Symposium von Netzwerk Glas, Glasfachschule Zwiesel und bayern design.
Das Netzwerk Glas und bayern design werden gefördert durch: